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Die Spino-cerebelläre Ataxie Typ 8 (SCA8)

Friedmar R. Kreuz

 

1.Klinische Beschreibung

Bei der SCA8, die als komplexe neurodegenerative Krankheit mit zerebellärer (kleinhirn-bedingter) Ataxie (Koordinationsstörung), Sprechstörung (Dysarthrie), Verschlucken (Dysphagie) und Gangunsicherheit als erste auftretende Symptome bereits 1999 von Koob und Mitarbeitern beschrieben wurde und ein Manifestationsalter von 1-73 Jahren aufweist, liegt eine Störung im Ataxin 8- (ATXN8-)Gen vor.

 

Eine expandierende Mutation, die dieses und das sog. ATXN8OS-Gen umspannt, führt zu Störungen der Zellfunktion, was sich hier besonders im Zentralnervensystem, vor allem dem Kleinhirn, mit der entsprechenden Symptomatik auswirkt. Der Verlauf der Krankheit ist langsam fortschreitend (progredient); die Lebenserwartung ist nicht signifikant eingeschränkt. Eine heilende (kausale) Therapie existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht. Die SCA8 macht      ca. 2-5 % aller dominanten SCA-Formen aus.

 

Folgende Symptome werden bei der SCA8 gesehen:

  • Nystagmus (Augenzittern)
  • langsame und dysmetrische sakkadierte (sprunghafte) Augenbewegungen
  • beeinträchtige glatte Augenbewegungen; Augenmuskellähmungen
  • fortschreitende zerebelläre (Kleinhirn-) Ataxie
  • Sprech- und Schluckstörungen (Dysarthrophonie und Dysphagie)
  • Koordinationsstörungen von Rumpf und Extremitäten
  • Spastizität mit gesteigerten Muskeleigenreflexen
  • Tremor
  • Pyramidenbahnzeichen
  • Hyperreflexie (gesteigerte Muskelreflexe)
  • langsam fortschreitende Kleinhirnatrophie (-schrumpfung); besonders betroffen sind die Kleinhirnhälften und der Kleinhirnwurm
  • sensorische Neuropathie

 

Seltener kommt es zu Parkinson-ähnlichen Symptomen, Symptomen einer Multisystematrophie (MSA), Entwicklungsstörungen in der Kindheit, wechselnder Muskelspannung (Dystonie) im Bereich der Mund- und Kiefermuskulatur, Schwäche der Atemmuskulatur und anfallartigen Episoden. Die kognitiven Funktionen können gestört sein; ebenso werden Störungen bei der Ausübung von Handlungen und psychische Auffälligkeiten gesehen. Schwerere Beeinträchtigungen der Hirnleistungen werden bei ca. 40 % der Betroffenen lediglich in der finnischen Population beobachtet.

 

2. Genetik

Bei der SCA8 handelt es sich um eine Erkrankung, der der autosomal-dominante Erbgang zugrunde liegt.

 

„Autosomal“ bedeutet, dass die verantwortliche Erbanlage (Gen) nicht auf einem der beiden Geschlechtschromosomen (X- oder Y-Chromosom) liegt, sondern auf einem der 22 Paare Nicht-Geschlechtschromosomen (= Autosomen), im Fall der SCA8 auf Chromosom 13. Daher tritt die SCA8 bei Männern und Frauen gleichermaßen auf.

 

„Dominant“ bedeutet, dass es ausreichend ist, wenn lediglich eines der doppelt vorhandenen Gene (ein Gen stammt vom Vater, ein Gen stammt von der Mutter) eine krankheits-verursachende Veränderung (Mutation) aufweist, damit es zum Auftreten der SCA8 kommt. 

 

Autosomal-dominant bedeutet aber auch, dass alle Verwandten ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) eine Wahrscheinlichkeit von 50 % haben, ebenfalls Träger der SCA8-Mutation zu sein und zu erkranken.

 

Das Gen für die SCA8 (ATXN8OS-Gen) wurde auf dem langen Arm von Chromosom 13 (13q21) lokalisiert und seine Struktur (Sequenz) aufgedeckt, wobei der Mutationsnachweis mit direkten Verfahren möglich geworden ist. Ursächlich für die SCA8 konnte eine Verviel-fachung (Expansion) von Wiederholungen (Repeats) einer Dreierkombination (= Triplett, Trinukleotid) der Bausteine der Desoxyribonukleinsäure (DNS) Cytosin (C), Thymin (T) und Adenin (A) bzw. Guanin (G) nachgewiesen werden.

 

Die Abfolge dieser CTA/CTG-Repeats bis zu einer bestimmten Anzahl (15-50) hat im allgemeinen keine krankmachende Bedeutung; bei CTA/CTG-Repeats ab 80 Einheiten ist sicher mit dem Auftreten der SCA8 zu rechnen. Es wird eine Ausbreitung dieser Repeats von 80 bis 250, ja sogar bis 1.300 und mehr angegeben. Davon hängt auch das Erkrankungsalter ab; je mehr Repeats vorliegen, desto früher beginnt die Erkrankung. Dazwischen liegt der Intermediärbereich (51-79), wo Aussagen nur im Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik möglich sind.

 

Diese CTA/CTG-Repeats überlappen die beiden Gene ATXN8 und ATXN8OS und können in letzterem Gen auch ein CAG-Repeat beinhalten.

 

Dies führt letztendlich zu einer Verlängerung des zu synthetisierenden Proteins, das sich vor allem in den sog. Purkinje-Zellen des Kleinhirns ansammelt und hier toxisch wirkt. Die eigentliche Funktion des Proteins wird noch erforscht.

 

Jedoch wird bei Krankheiten mit dem dominanten Erbgang, wie es auch auf die SCA8 zutrifft, häufig eine variable Expressivität und eine verminderte Penetranz beobachtet. Dies bedeutet zum Einen, dass das Erscheinungsbild der Krankheit auch innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich sein kann (variable Expressivität) und zum Anderen, dass nicht alle Träger der Mutation, erkranken müssen (unvollständige Penetranz), was z. B. durch das Vorliegen der CTA/CTG-Repeat-Anzahl im sog. Intermediärbereich, aber auch durch die unterschiedliche Anzahl der CTA-, CTG- und auch CAG-Repeats und ihre gegenseitige Unterbrechung erklärt werden kann.

 

Andererseits handelt sich bei diesen Trinukleotidrepeatkrankheiten meist um eine sog. „dynamische Mutation“, die nicht immer in derselben Anzahl der Repeats weiter gegeben werden muss. So ist bekannt, dass es bei der Vererbung, hauptsächlich über die Mutter, meist zu einer Verlängerung, bei der Vererbung über den Vater eher zu einer Verkürzung des Repeats kommt. Dies könnte auch erklären, warum sich in einigen Familien kein weiterer erkrankter Verwandter findet.

 

3. Therapie

Eine spezifische Therapie oder gar Heilung gibt es für die SCA8, wie für die meisten Ataxie-Krankheiten, bisher (noch) nicht.

 

Die gezielte medikamentöse Therapie muss sich nach den vorherrschenden Symptomen, z. B. auch bei einer depressiven Symptomatik (Antidepressiva) oder einer Spastik (Spasmolytika) richten.

 

Bezüglich der allgemeinen Lebensführung sollte auf eine ausgewogene, jedoch ausreichend kalorische Ernährung unter regelmäßiger Gewichtskontrolle und Vermeidung von Noxen wie Alkohol und Nikotin geachtet werden. Stressvermeidung und Schlafhygiene wirken sich ebenfalls positiv aus. Um einer Isolierung vorzubeugen, sollte die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglichst lange erfolgen.

 

Hier bieten sich Kontakte zur bundesweiten Selbsthilfeorganisation der Deutschen Heredo-Ataxie-Gesellschaft (DHAG) an.

 

Mit der Physiotherapie und Ergotherapie stehen Methoden der Wiederherstellung bzw. Erhaltung koordinierter Bewegungsabläufe mit einer Reihe von Techniken der Krankengymnastik (z. B. PNF, Vojta, Isometrische Anspannung, Entspannung, Bewegungsbad, funktionelle Bewegungslehre, koordinative Physiotherapie, Gangschulung) zur Verfügung.

 

Die Ergotherapie beugt, auch durch kognitives Training, dem Verlust der Alltagskompetenz vor.

 

Die logopädische Behandlung dient vor allem der Erhaltung der Sprechfunktion (Dysarthrie!) und damit der Kommunikation und dem Erlernen von Atem- und Schlucktechniken, die hauptsächlich bei der Nahrungsaufnahme einer Aspiration (Verschlucken; Dysphagie!) vorbeugen sollen.

 

Allgemeine rehabilitative Maßnahmen wie Hilfsmittel im Alltagsleben (Gehhilfen, Rollstuhl, Handläufe etc.) und im Sanitärbereich, aber auch die Durchführung von stationären Reha-Maßnahmen in kurzen Zeitabständen (z. B. aller zwei Jahre) wirken sich positiv aus.

 

Bezüglich der sozialen Absicherung sollten die Sozialleistungen dem tatsächlichen Stand der Erkrankung angeglichen werden (v. a. Schwerbehinderung, Berentung, Pflegestufe). Finanzielle Nachteile aufgrund der Erkrankung können so teilweise ausgeglichen werden.

 

Abschließend sei nochmals bemerkt: Die Prognose der SCA8 ist (relativ) günstig: Die Krankheit ist über Jahrzehnte nur langsam progredient, die Lebenserwartung ist nicht signifikant verringert.

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