Der autosomal-rezessive Erbgang
Hierbei handelt es sich um einen Erbgang, der aufgrund der Lokalisation der Gene auf einem Paar Autosomen unabhängig vom Geschlecht auftritt; es spielt also keine Rolle, ob es sich um eine weibliche oder männliche Person handelt. Nichts anderes besagt das Wort „autosomal“.
Von den beiden Genen auf einem Paar von Autosomen spielt, sofern sie durch eine genetische Veränderung (Mutation) nicht mehr identisch sind (man spricht jetzt von Allelen), meist das eine die entscheidende Rolle: Es dominiert (dominare: lat. = herrschen über, gebieten, befehlen); das andere Allel hingegen wird überspielt, überdeckt von dem dominierenden Allel: es ist rezessiv (recedere: lat. = zurückweichen, entschwinden).
Liegt Heterozygotie (Mischerbigkeit) der Gene vor und ist das mutierte Allel (Krankheitsallel) rezessiv gegenüber dem Normalallel (dieses ist dann dominant), wird sich das rezessive Allel in seiner Wirkung nicht ausprägen: es kommt zum hineichenden Aufbau eines Proteins, das in seiner Funktion nicht eingeschränkt ist.
Dieses Protein ist in seiner (meist reduzierten) Menge ausreichend für die normalen Funktionen. Es tritt z. B. keine krankhafte Störung des Stoffwechsels der Nervenzelle auf. Nur in einigen Fällen lassen sich mit feineren Untersuchungsmethoden diese Störungen bei den gesunden Personen nachweisen, die als heterozygote (mischerbige) Anlageträger bezeichnet werden.
Eine autosomal-rezessive Ataxie, wie z. B. die Friedreichsche Ataxie, kann nach den Regeln der Vererbung daher nur dann bei einem Kind auftreten, wenn die Eltern gesunde, heterozygote Anlageträger sind. Da bei der Reifung der Geschlechtszellen jeweils die Hälfte der Chromosomen in diese gelangt, erhalten Ei- und Samenzelle mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % wiederum das rezessive Krankheitsallel.
Wenn diese Krankheitsallel-tragende Geschlechtszelle zur Befruchtung gelangt, kann vom Partner mit derselben Wahrscheinlichkeit von 50 % wiederum eine Geschlechtszelle mit einem rezessiven Krankheitsallel beigesteuert werden.
Nur in dem Fall, wenn zwei Krankheitsallel-tragende Geschlechtszellen aufeinandertreffen, wird das Kind erkranken: Es ist dann homozygot (reinerbig) für das Krankheitsallel und weist kein Normalallel mehr auf. Nach dem Mendelschen Spaltungsverhältnis beträgt die Wahrscheinlichkeit für die Kinder zweier gesunder, heterozygoter Anlageträger, homozygot krank zu sein, 25 %.
Das heißt auch, dass 75 % der Kinder klinisch gesund sind; jedoch beträgt die Wahrscheinlichkeit für die Kinder, wiederum heterozygote Anlageträger zu sein (wie die Eltern), 50 %. Auch die Geschwister eines z. B. an Friedreichscher Ataxie erkrankten Kindes haben demzufolge ebenfalls eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von 25 %; sie können als Ataxie-gefährdete Personen bezeichnet werden.
Alle an einer rezessiven Ataxie Erkrankten geben ein Krankheitsallel an ihre Kinder weiter. Alle Kinder dieses Betroffenen sind damit gesunde, heterozygote Genträger für dieses Krankheitsallel und haben eine der Normalbevölkerung gegenüber (gering) erhöhte Wahrscheinlichkeit, wiederum Kinder mit der rezessiven Ataxie zu bekommen.
Besonders hoch ist diese Wahrscheinlichkeit, wenn Blutsverwandtschaft mit dem Partner besteht. Aufgrund der gemeinsamen Abstammung haben die Partner, je nach Verwandtschaftsgrad, auch einen gewissen Anteil gemeinsamer (rezessiver Krankheits-)Gene. Krankheiten mit autosomal-rezessiver Genwirkung treten erfahrungs- und erwartungsgemäß häufiger bei blutsverwandtschaftlichen Beziehungen auf.
Kinder von gesunden, heterozygoten Anlageträgern haben eine Wahrscheinlichkeit von erneut 50 %, ebenfalls wieder (gesunde) Genträger zu sein. Bei der Analyse des Familienstammbaumes, selbst über mehrere Generationen, fällt im Regelfall kein Betroffener mit einer rezessiven Ataxie auf.
Obwohl die rezessive Ataxie gesetzmäßig auftritt, erweckt hier die Stammbaumanalyse den Eindruck, dass ein sporadisches Ereignis vorliegt, und es ist für Eltern eines Kindes z. B. mit Ataxia teleangiectatica oder Friedreichscher Ataxie nicht immer leicht einsehbar, dass es sich hierbei um eine genetisch bedingte (erbliche) Krankheit handelt.