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NeuroEpo als Therapie bei SCA2?

02. 04. 2024

Anfrage an den Medizinischen Beirat

„Bei unserer Tochter wurde die SCA2 diagnostiziert. Infolgedessen bin ich ständig auf der Suche nach Studien oder Medikamenten, die ihr helfen können. Anfang Februar 2024 bin ich auf die folgende Studie gestoßen:

Eine klinische Phase-III-Studie zur Bewertung der Wirksamkeit und Sicherheit der nasalen Verabreichung von NeuroEPO bei erwachsenen Patienten mit spinozerebellärer Ataxie wird in Kuba durchgeführt.

Kuba ist mit einer Rate von 36,2 Fällen pro 100.000 Einwohner das Land der Welt mit der höchsten Prävalenz von Ataxie vom Typ SCA2; die Häufigkeit in der Provinz Holguín beträgt 183 Fälle pro 100.000 Einwohner. International liegt die Inzidenz dieser Art von Ataxie bei drei bis fünf Fällen pro 100.000 Menschen. (Dies erscheint dem Medizinischen Beirat zu hoch, da die Inzidenz aller SCAs global auf ca. 5 Fälle pro 100.000 Einwohner geschätzt wird, wobei der Anteil an SCA2-Betroffenen in den verschiedenen Ländern stark schwankt und im Mittel zwischen 10 und 15 % betragen dürfte. - FRK)

Dr. Luis Velázquez, Gründer des Zentrums für Forschung und Rehabilitation von hereditären Ataxien (Cirah) in Holguín und Präsident der Kubanischen Akademie der Wissenschaften, berichtete, dass die Phase-III-Studie auf eine Phase-I/II-Studie folgt, die zwischen 2015 und 2016 durchgeführt wurde. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten eine Verbesserung des Kleinhirnsyndroms bei den behandelten Patienten und eine Verbesserung ihrer kognitiven Manifestationen.

Darüber hinaus wurde ein hohes Sicherheitsprofil von NeuroEPO nachgewiesen, einem vom Zentrum für Molekulare Immunologie entwickelten Molekül, das bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen eingesetzt wird.

NeuroEPO bei SCA2-Ataxie. Von präklinischen Studien bis hin zu klinischen Studien am Menschen: Es war die Präsentation, die im Mittelpunkt eines Treffens zwischen Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten mit dem kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel und dem Premierminister Manuel Marrero stand. Laut Dr. Velázquez bedeutet Ataxie den Verlust der Koordination der Bewegungen, und über den SCA2-Typ erklärte er, dass es sich um eine schwere Multisystem-Erbkrankheit handelt, mit einem progressiven Verlauf bis zum Tod, deren Erkrankungsalter etwa 30 Jahre beträgt, mit einem klinischen Verlauf bis zur Behinderung von 10 Jahren.

In Kuba werden jedes Jahr 75 neue Probanden mit der Mutation diagnostiziert, und 25 Patienten sterben. Das karibische Land meldet 2.400 Erkrankte und 10.000 asymptomatische Verwandte, die zu 200 Familien gehören. Zu den klinischen Manifestationen beschrieb der Facharzt unter anderem den sogenannten ataktischen Gang bei 100 Prozent der Patienten sowie Sprachstörungen (richtig: Sprechstörungen – FRK). Die Verlangsamung der sakkadischen Augenbewegungen betrifft 91 Prozent, Muskelschwund 75 Prozent, periphere Neuropathie 85 Prozent, Schluckstörungen 76 Prozent, Schlafstörungen 90 Prozent und kognitive Dysfunktion 85 Prozent.

Trotz der Barrieren, die die Therapien bei Ataxien einschränken, setzt sich Kuba dafür ein, diese zu entwickeln und allen Bürgern, die daran leiden oder bei denen ein genetisches Risiko (korrekt: Wahrscheinlichkeit – FRK) besteht, betroffen zu sein, kostenlos und universell zur Verfügung zu stellen. Ziel ist es, die zellulären und molekularen Mechanismen der Neuroplastizität zu stimulieren, beeinträchtigte motorische und kognitive Funktionen zu verbessern, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen, die Selbstständigkeit der Patienten zu erhöhen und ihre Lebensqualität zu verbessern sowie mit der Welt zusammenzuarbeiten. Quelle: Prensa Latina

Was halten Sie von dieser Studie für SCA2-Patienten?“

Der Medizinische Beirat hat sich dieser Fragestellung angenommen und möchte, unter Einbeziehung von Herrn Prof. Dr. med. Georg Auburger, der sich jahrelang mit der SCA2 in der Region Holguín auf Kuba beschäftigte, folgende Stellungnahme abgeben:

Erythropoietin (EPO) ist ein Zytokin (regulatorisches Protein), das hauptsächlich als Schlüsselregulator der Erythropoese (Blutbildung) bekannt ist. Das Hormon Erythropoietin wird größten Teils in den Nieren gebildet und regt im Knochenmark die Bildung und Reifung von roten Blutkörperchen (Erythrozyten) an. Erythropoietin gelangt über das Blut zu den Erythropoietinrezeptoren (EPOR) im Knochenmark und stimuliert die Bildung von Erythrozyten über mehrere Zwischenstufen aus sogenannten „erythropoetin responsive cells“ (ERC). Benötigt der Körper mehr Erythrozyten, beispielsweise bei einer Blutarmut, kann die Produktion durch eine erhöhte Erythropoietinausschüttung um ein Vielfaches gesteigert werden. Erythrozyten sind für den Transport des Sauerstoffs im Blut verantwortlich. Da ihre Lebenszeit begrenzt ist (ca. 120 Tage) muss das Knochenmark ständig für Nachschub sorgen. Reicht das Erythropoetin nicht aus, kann es bei bestimmten Krankheiten als Medikament (EPO) zusätzlich gegeben werden. Zu diesen Krankheiten zählen verschiedene Formen von Blutarmut (Anämie).

Erythropoietinrezeptoren (EPOR) wurden jedoch auch im nicht-hämatopoietischen Gewebe (Gewebe, das nicht an der Blutbildung beteiligt ist), z. B. im Nervengewebe, gefunden. So zeigt Erythropoietin zusätzlich neurotrophische (die Nervenzelldifferenzierung betreffend) und neuroprotektive (den Schutz der Nervenzellen vor strukturellen oder funktionellen Schädigungen betreffend) Eigenschaften. Diese Eigenschaften führten in den letzten Jahren zu Überlegungen, die Wirkung von Erythropoietin bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen zu untersuchen, einschließlich der Alzheimer-Krankheit, der Friedreich-Ataxie (-Krankheit; FRDA) und auch der SCA2, obwohl die Krankheitsursachen und Mechanismen der Krankheitsentstehung dieser Krankheiten ganz unterschiedlich sind. So könnten einige Wirkungen von EPO bei der FRDA günstig für den Krankheitsverlauf sein, da unter EPO-Einfluss das verantwortliche Protein Frataxin vermehrt gebildet und der Eisenstoffwechsel beeinflusst werden. Andererseits ist EPO entscheidend für die mitochondriale Genaktivierung und mitochondriale Biogenese. Die laufenden Studien bei der Friedreich-Ataxie sind noch nicht abgeschlossen, sodass gegenwärtig noch keine definitiven Aussagen für die Behandlung bei FRDA getroffen werden können. Tatsächlich scheint aber keine der bisherigen Studien wirklich vielversprechend zu sein.

Der Gedanke, die mitochondriale Dysfunktion bei FRDA mit verbessertem Sauerstofftransport im Blut auszugleichen, ist nachvollziehbar. Jedoch besteht bei der FRDA, eine Störung der Eisen-Schwefel-Cluster-Biogenese, die lebensnotwendig für viele Enzyme und, nach neuesten Erkenntnissen, auch für die DNA-Qualitätskontrolle ist. Diese Störungen werden wahrscheinlich nicht durch mehr Sauerstoff ausgeglichen.

Von der SCA2 ist bekannt, dass toxische Aggregate des verlängerten Ribonukleinproteins Ataxin2 sowohl die Nervenzellen, die Myelin-Bildung (Bildung der Markscheiden) als auch die Mikroglia (Immuneffektorzellen im ZNS) stören. Eine mitochondriale Dysfunktion steht hierbei jedoch nicht an zentraler Stelle der Krankheitsursache. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass NeuroEPO einen unspezifischen Effekt haben könnte, da Nervenzellen und die Myelinisierung viel Energie verbrauchen.

Wie oben dargestellt, liegt die Prävalenz der SCA2 in der Region um Holguín tatsächlich deutlich über der allgemeinen Prävalenz. Man kann von einem so genannten Gründer-Effekt ausgehen (founder effect). Nach Kenntnis des Medizinischen Beirates wird der Ansatz, NeuroEPO bei der SCA2 einzusetzen, nur in der oben erwähnten kubanischen Arbeitsgruppe verfolgt. Die Auswertung aller klinischen Daten der NeuroEPO-Studie ist nach Kenntnis des Medizinischen Beirates noch nicht abgeschlossen. Soweit bekannt, wurde keine signifikante klinische Besserung durch NeuroEPO beobachtet.

Der Medizinische Beirat empfiehlt daher, sowohl die Ergebnisse der noch laufenden Studien in Kuba als auch die Bestätigung der Ergebnisse durch internationale, unabhängige Studien abzuwarten und kann derzeit keine Empfehlung zur therapeutischen Anwendung von NeuroEPO aussprechen.

Wissenschaftlicher Beirat der DHAG unter Anhörung von Herrn Prof. Dr. G. Auburger:

Prof. Dr. A. Hahn, Dr. K.-F. Heise, Dr. F. R. Kreuz (Sprecher), PD Dr. M. Minnerop, F. Ostermann, Dr. T. Ratzlaff, Prof. Dr. L. Schöls, Prof. Dr. M. Synofzik, Prof. Dr. D. Timmann-Braun, Prof. Dr. H.-P. Vogel, Prof. Dr. C. Zühlke

Redaktionelle Bearbeitung: F. R. Kreuz

 

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